Unterschätztes Risiko bei der Oberflächenbehandlung von Kunststoffen oder lackierten Bauteilen
von M. Montalti, Sales Development Engineer Reflecon, MR Chemie

Warum dieses Thema für die Industrie entscheidend ist:

Die optische Digitalisierung von Bauteilen mittels 3D-Scanning hat sich in der industriellen Qualitätssicherung, im Reverse Engineering und in der Prototypenerstellung etabliert. Gerade bei Bauteilen mit reflektierenden, transparenten oder dunklen Oberflächen ist der Einsatz von Scanningsprays unverzichtbar, um digitalisierbare Oberflächen zu erhalten.

Was viele Anwender unterschätzen: Diese Sprays enthalten in der Regel Lösungsmittel, die bei bestimmten Materialien gravierende Schäden verursachen können. Besonders betroffen sind bei der Verwendung von alkoholhaltigen Sprays Kunststoffe wie PMMA (Polymethylmethacrylat), PS (Polystyrol) oder 1K-Lackierungen. Bei falscher Anwendung drohen milchige Trübungen, Rissbildung oder das Ablösen von Beschichtungen – Fehler, die ein Bauteil zerstören oder wertlos machen können.

Das Thema ist dabei keineswegs auf einzelne Produktlinien beschränkt. Vielmehr handelt es sich um eine technische Herausforderung, die alle Lösungsmittel-basierten Scanningsprays betrifft, unabhängig vom Hersteller.

Herausforderungen durch lösungsmittelhaltige Scanning-Sprays

Die meisten handelsüblichen Scanningsprays basieren auf einer Kombination aus Treibmitteln, Trägerflüssigkeit und Mattierungsmitteln. Die Trägerflüssigkeiten enthalten meist organische Lösungsmittel wie Isopropanol, Aceton, Cyclopentan oder Kohlenwasserstoffverbindungen. Diese können je nach Konzentration und Einwirkdauer mit bestimmten Kunststoffen reagieren.

Ein Beispiel ist PMMA: Dieses Material wird von Aceton stark angegriffen, was bereits nach wenigen Minuten zu sichtbaren Oberflächenveränderungen führen kann. PS reagiert ebenfalls empfindlich auf Alkohol- oder Ketonverbindungen.

Wissenschaftliche Grundlagen: Warum Materialien reagieren

Die Reaktion von Kunststoffen mit organischen Lösungsmitteln lässt sich auf molekulare Wechselwirkungen und das Prinzip der Löslichkeit „Gleiches löst sich in Gleichem“ zurückführen. Organische Lösungsmittel wie Aceton oder Isopropanol sind polare Substanzen. Viele Kunststoffe, insbesondere PMMA oder PS, besitzen ebenfalls polare Molekülstrukturen. Die polaren Molekülstrukturen können in Wechselwirkung mit den polaren Lösemitteln treten. Diese sorgen dafür, dass die einzelnen Polymerketten, die fest ineinander „verknäult“ sind, auseinander gedrückt werden, wodurch es zu Quellungen, Spannungsrissen oder Strukturveränderungen kommen kann.

Auch die Oberflächenspannung der Lösungsmittel spielt eine Rolle: Substanzen mit niedriger Oberflächenspannung dringen leichter in feine Poren oder Mikrostrukturen ein. Dies fördert das Eindringen in Lacke oder Beschichtungen und kann zu Ablösung oder Erweichung führen.

Im Fall von Lackierungen wirken Lösungsmittel als Weichmacher, die die Bindung zwischen Lack und Substrat lösen können. Besonders empfindlich sind 1K-Lacke, die nicht die gleiche chemische Beständigkeit gegenüber organischen Verbindungen aufweisen wie chemisch vernetzte Lacke.

2K-Lacke, Eisenwerkstoffe und Nichteisenmetalle sind i.d.R. wiederum problemlos mit sämtlichen Scanningsprays benetzbar.

Häufige Irrtümer und Missverständnisse

Ein weit verbreiteter Irrtum ist die Annahme, dass ein Spray, das rückständefrei sublimiert, automatisch materialverträglich sei. Tatsächlich kann die chemische Reaktion mit dem Untergrund bereits beim Aufsprühen erfolgen. Auch die Aussage „je dünner der Auftrag, desto unkritischer“ gilt nicht uneingeschränkt: Selbst geringe Mengen Lösungsmittel können auf empfindlichen Oberflächen große Wirkung entfalten.

Ein weiteres Missverständnis betrifft die Einwirkzeit. Manche Anwender gehen davon aus, dass Schäden nur bei längerer Kontaktzeit entstehen. Die Praxis zeigt jedoch, dass Reaktionen mit kritischen Materialien meist innerhalb weniger Minuten auftreten.

Die richtige Auswahl durch Materialverträglichkeitstabellen

Wir, die MR Chemie GmbH, kennen unsere Produkte am besten und haben gemeinsam mit der 3D Scan Academy aus Göppingen eine Materialverträglichkeitstabelle erstellt, die Anwendern dabei hilft, schnell das richtige Spray auswählen zu können.

Als Anwender sollte man dennoch einen kleinen Kompatibilitätstest an einer unauffälligen Stelle durchführen, da eine allgemeingültige Aussage oft nicht möglich ist. Die jeweiligen Oberbegriffe der Kunststoffsorten erlauben unzählige Varianten, wodurch sich je nach Länge der Polymerketten, Verzweigungsgrad oder Zusatzstoffen (wie Weichmacher oder Füllstoffe) die Wechselwirkung mit organischen Substanzen verändern.

Fazit: Sicherheit durch Wissen und Wahl des richtigen Produkts

Die Wahl des passenden Scanningsprays sollte nicht nur von der Scanperformance abhängen, sondern immer auch die Materialverträglichkeit berücksichtigen. Gerade bei empfindlichen Kunststoffen und beschichteten Oberflächen ist ein unüberlegter Einsatz mit Risiken verbunden.

Durch das Verständnis der chemischen Wirkmechanismen, die Kenntnis der Inhaltsstoffe und die Nutzung von Materialverträglichkeitstabellen lassen sich Schäden vermeiden und die Qualität der optischen Digitalisierung sichern. MR Chemie bietet mit der REFLECON®-Serie nicht nur leistungsfähige Produkte, sondern auch die notwendige Orientierung für eine sichere Anwendung im industriellen Umfeld.

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Mario Montalti

Sales Development Engineer Reflecon

0160 94750556
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